Schweiz
Gesellschaft & Politik

«Sie geht allen auf den Keks»: Viola Amherds Reise in die Einsamkeit

Bundesraetin Viola Amherd verlaesst den Konferenzsaal, nachdem sie waehrend einer Medienkonferenz ihren Ruecktritt bekannt gegeben hat, am Mittwoch, 15. Januar 2025 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Viola Amherds Vermächtnis sieht aus heutiger Perspektive nicht rosig aus.Bild: KEYSTONE

«Sie geht allen auf den Keks»: Viola Amherds Reise in die Einsamkeit

Am 5. Dezember 2018 legt sie den Amtseid ab. Ein Freudentag. Sechs Jahre später sitzt die Mitte-Bundesrätin vor den Medien in Bern und rechnet mit dem Bundesrat ab. In einem Auftritt zwischen Trotz, Wut und Resignation. Geprägt von Einsamkeit. Was ist schiefgelaufen?
02.03.2025, 05:3402.03.2025, 05:34
Stefan Bühler / ch media
Mehr «Schweiz»

Es ist Mittwoch, der 5. Dezember 2018. Viola Amherd und Karin Keller-Sutter stehen Seite an Seite im Nationalratssaal vor der Vereinigten Bundesversammlung, heben den rechten Arm, legen den Amtseid ab – und müssen spontan lachen.

Zwei neue Bundesrätinnen an einem Tag: Karin Keller-Sutter, rechts, und Viola Amherd bei ihrer Vereidigung.
Da schien das Verhältnis noch intakt zwischen Amherd und Karin Keller-Sutter.Bild: Anthony Anex / Keystone (Bundeshaus, 5. 12. 2018)

Mit der Vereidigung bekennen sich die beiden Frauen zur eigenartigsten Schicksalsgemeinschaft des Landes: dem Bundesrat. Jener Behörde mit sieben Mitgliedern aus vier verschiedenen Parteien, die gemeinsam die Regierungsverantwortung für die Schweiz tragen.

Am Abend im Fernsehstudio leuchten Amherds blaue Augen vor dem blauen Dekor. Gefragt nach dem besonderen Moment des Tages, nennt sie den Schwur: «Als Frau Karin Keller-Sutter und ich praktisch synchron, in der gleichen Hundertstelsekunde sagten: ‹Ich schwöre es!› Hätten wir das geübt, wäre es nicht so gut herausgekommen.» Harmonie pur.

Das Vermächtnis liegt in Trümmern

Sechs Jahre, zwei Monate und drei Wochen später sitzt Amherd in Bern vor den Medien. Es ist Mittwoch, 26. Februar. Die Karriere der Mitte-Bundesrätin, die Mitte Januar ihren Rücktritt auf Ende März angekündigt hat, erreicht ihren Tiefpunkt.

Über Indiskretionen war am Vortag durchgesickert, dass Armeechef Thomas Süssli und der Chef des Nachrichtendienstes, Christian Dussey, gekündigt haben. Dies bereits im Januar – doch der Bundesrat erfährt es erst jetzt. Ebenfalls am Dienstag hat die Eidgenössische Finanzkontrolle drei Berichte zum Rüstungsbetrieb des Bundes veröffentlicht, der Ruag. Es geht um einen Korruptionsfall von historischem Ausmass, um das Verschwinden von Armeematerial aus Ruag-Lagern und um mangelnde Aufsicht durch den Bund. Also durch Viola Amherd. Das Vermächtnis der Mitte-Bundesrätin liegt in Trümmern.

An der Medienkonferenz holt Amherd zum Gegenschlag aus. Sie geisselt die Indiskretionen. Sie stapelt, mit Wucht, über ein Dutzend Berichte über die Zukunft der Armee aufs Pult. Sie rattert eine Serie von Entscheiden herunter, gegen eine rasche Aufstockung der finanziellen Mittel für die Armee. «Vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen», sagt sie jedes Mal.

Der Auftritt pendelt zwischen Trotz, Trauer und Resignation. Er ist ein kaum verschleierter Bruch mit der Kollegialität. Und ein Beleg dafür, wie einsam Viola Amherd geworden ist.

Skandale überschatten die Erfolge

Was ist geschehen, seit dem Lachen an Keller-Sutters Seite? Was ist schiefgelaufen? Und wer ist verantwortlich für das traurige Ende von Amherds Bundesratskarriere?

Zunächst gilt es festzuhalten: Amherd hat auch Erfolge vorzuweisen. Anders als Ueli Maurer hat sie den Kauf neuer Kampfjets beim Volk durchgebracht. Sie hat die Schweiz gegen Risiken im Cyberbereich besser aufgestellt. Dazu erhielt sie das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik, mit dem die Bedeutung der Sicherheitspolitik langfristig aufgewertet wird.

Sie bewies auch Mut. Etwa, als sie nach dem russischen Angriff deutlich Position zugunsten der Ukraine ergriff. Oder als sie die internationale Zusammenarbeit der Armee stärkte, gegen Widerstände im Inland. Mutig auch ihre – durchaus eigenmächtige – Zusage für eine Ukraine-Friedenskonferenz. Der Gipfel auf dem Bürgenstock wird als Höhepunkt ihrer Karriere in Erinnerung bleiben.

Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy, left, reacts next to Swiss Federal President Viola Amherd after a closing plenary session during the Summit on peace in Ukraine, in Stansstad near Lucerne, Swi ...
Höhepunkt der Karriere: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski dankt Bundespräsidentin Amherd zum Abschluss der Bürgenstock-Konferenz, hier am 16. Juni 2024.Bild: keystone

Daneben hat sie ihr Herzensanliegen in die Armee eingebracht. Der Anteil an Soldatinnen in der Truppe wurde auf tiefem Niveau von 0,7 auf 1,6 Prozent mehr als verdoppelt. Und ja: Trotz aller Diskussionen um die Finanzen hat die Armee schon jetzt deutlich mehr Geld zur Verfügung als bei Amherds Amtsantritt.

Die negativen Schlagzeilen dieser Woche sollten den Blick auf solche Fortschritte nicht verstellen. Doch wegreden lassen sich die Skandale nicht. Und auch nicht die Entfremdung vom Regierungskollegium.

Misstrauen führt zu Misstrauen

Hat sie sich selber isoliert, oder wurde sie isoliert? Ist es gar ein Fall von Mobbing? Was sich sagen lässt: Es fällt leicht, in Bern Stimmen zu sammeln, die schlecht über Amherd reden. «Sie geht allen auf den Keks», sagt ein einflussreicher Politiker. «Wer Misstrauen sät, wird Misstrauen ernten», philosophiert eine bundesratsnahe Quelle. Sie nerve ihre Regierungskollegen, wenn sie Dinge «einfach durchstieren» wolle.

Das fängt schon 2020 bei der Beschaffung des Kampfjets an. Während Finanzminister Ueli Maurer noch mit Frankreich über Konzessionen verhandelt, falls die Schweiz die Rafale kauft, fällt Amherd bereits den Entscheid für den amerikanischen F-35. Sie verschweigt dies aber dem Gremium. Nicht nur Maurer fühlt sich hintergangen.

Bundesraetin Simonetta Sommaruga, Bundesrat Alain Berset, Bundesraetin Viola Amherd Bundesrat Ueli Maurer, Bundeskanzler Walter Thurnherr, Bundespraesident Ignazio Cassis und Bundesraetin Karin Keller ...
Inszenierte Harmonie: Amherd, mit weissem Hut, reicht Ueli Maurer auf der Bundesratsreise beim Rheinfall die Hand. Weiter von links nach rechts: Simonetta Sommaruga, Alain Berset, alt Bundeskanzler Walter Thurnherr, Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter, hier am 30. Juni 2022 in Neuhausen.Bild: keystone

Der eigentliche Bruch erfolgt aber später, mit den Rücktritten von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga 2022 und Alain Berset 2023. Dadurch verändert sich die Konstellation im Bundesrat – zum Nachteil Amherds.

Bis zu seinem Rücktritt war Maurer der Aussenseiter. Während der Covid-Pandemie tanzte er immer wieder aus der Reihe. Mit Sommaruga und Berset war die SP mit erfahrenem, selbstbewusstem Personal im Kollegium vertreten. Es gab kaum ein Kräftegefälle zwischen links und rechts.

Das änderte sich nach Maurers Rücktritt, der Wahl von SVP-Bundesrat Albert Rösti und dem Wechsel von Keller-Sutter ins Finanzdepartement. Nach dem Ende der Pandemie, die zu einer enormen Neuverschuldung führte, etabliert die FDP-SVP-Mehrheit die Einhaltung der Schuldenbremse als oberste Maxime der Bundespolitik. Sie gewichtet dieses Ziel trotz des russischen Angriffskriegs bis heute höher als den rasche Stärkung der von Amherd angestrebten Verteidigungsfähigkeit.

Kleinliches Gezänk um Auftritte

Für die Verteidigungsministerin ist das frustrierend. Für sie ist die Sicherheit «Staatsaufgabe Nummer 1», wie sie sagt. Gespräche mit involvierten Personen zeigen, wie sich der Konflikt hochschaukelt.

Immer und immer wieder versucht sie, das Budget für die Aufrüstung schneller aufzustocken. Mal direkt im Bundesrat, mal indirekt über Parlamentarier ihrer Partei. Sie legt es an diesem Mittwoch selber offen, mit der Tirade gegen die abschlägigen Bundesratsentscheide. Kein Wunder, findet man das in andern Departementen «nervig», fühlt sich durch die Manöver hintergangen, stört sich daran, dass die Verteidigungsministerin gefällte Entscheide partout nicht akzeptiert.

In der Mitte-Partei, bei Linken und in Amherds Umfeld spricht man indes von einer «Machtpolitik des Viererblocks» unter Führung von Keller-Sutter und Rösti. Guy Parmelin kümmere sich nur um seine Angelegenheiten. Und Ignazio Cassis, der etwa in Fragen der Neutralität und der internationalen Zusammenarbeit gleiche Positionen wie Amherd vertrete, wage nicht, aus dem Viererblock auszubrechen.

Manche sehen im Machtkampf auch schon Vorboten des Wahlkampfs, dem Ringen um den zweiten Sitz der FDP, den die Mitte spätestens 2027 angreifen will: Indem Amherd daran gehindert werde, ihre Ziele zu erreichen, erscheine die Mitte als schwach, so das vermutete Kalkül. Es laufe eine Kampagne gegen Amherd, lautet eine verbreitete Klage.

Ganz anders tönt es auf der andern Seite. Hier sieht man die Fehler bei Amherd selbst, die wichtige Geschäfte ungenügend vorbereitet habe. Statt zunächst mit Kolleginnen und Kollegen informell das Gespräch zu suchen, überfalle sie den Bundesrat am Tag vor der Sitzung mit einem fertigen Vorschlag. «Sie versteht das Handwerk nicht, dass es immer ein Geben und Nehmen ist», heisst es. Oft ist zu hören, Amherd sei unnahbar und vertraue nur ihrem von Walliserinnen und Wallisern dominierten engsten Umfeld.

Grundlegende politische Konflikte münden so in kleinliches Gezänk. Zum Beispiel darüber, wer den Abschluss der Verhandlungen mit Brüssel vor den Medien präsentieren darf. Amherd nicht. Das macht sie hässig. Dafür hat sie mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Treffen in Bern vereinbart. Das stört wiederum andere Bundesratsmitglieder.

Bundesraetin Viola Amherd spricht an einer Medienkonferenz, am Mittwoch, 26. Februar 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Am Ende der Karriere: Viola Amherd bei ihrem Auftritt vor den Medien am 26. Februar 2025 in Bern.Bild: keystone

Es ist ein Abnützungskampf, an dessen Ende Amherd als Verliererin dasteht. Am Mittwoch dieser Woche, 33 Tage bevor sie aus dem Amt ausscheidet, ist in den blauen Augen der Walliserin keine Freude mehr zu erkennen. Wenn die Augen funkeln, dann nur noch vor Wut. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
157 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
ste_17
02.03.2025 07:42registriert Januar 2017
Ich frage mich, ob man über einen abtretenden männlichen Bundesrat auch so sprechen würde, wie nun über Amherd gesprochen wird.
"Er geht allen auf den Keks."
"Er nervt, weil er einfach Dinge durchstieren will."
Mein Gefühl sagt, diese Sätze kommen viel eher mit "sie" als mit "er" vor.

Und ist es nicht auch der Job von Regierungsmitgliedern, ihre Departemente voranzubringen? Ist es nicht auch normal, dass in der Politik in knappen Entscheiden die eine oder die andere Seite ihre Position "durchstiert"? Wird das nicht oft auch als Erfolg gewertet?
23782
Melden
Zum Kommentar
avatar
Linus Luchs
02.03.2025 08:02registriert Juli 2014
"Es ist ein Abnützungskampf, an dessen Ende Amherd als Verliererin dasteht."

Die Verliererin ist vor allem die Schweiz, und das Problem war nicht Viola Amherd, sondern der SVP/FDP-Block. Das Neutralitätsgefasel von der SVP, bei dem es im Grunde nur darum geht, mit Kriegsverbrechern Geschäfte machen zu können, und bei der FDP das irrationale Spardiktat plus die Panik, einen Bundesratssitz zu verlieren, führen dazu, dass die Schweiz die Integration im westlichen und europäischen Verteidigungsbündnis verpasst, ungenügend gerüstet ist und trotz ernster Bedrohungslage keinen brauchbaren Plan hat.
13530
Melden
Zum Kommentar
avatar
N. Y. P.
02.03.2025 07:53registriert August 2018
Der Artikel gefällt mir nicht.

Die Stossrichtung, die BR Amherd voranbringen wollte, stimmt. Sicherheit stärken, Aufstocken Armeebudget wegen Russland, etc. Sie ist der Zeit voraus.

Wir haben ja gesehen, dass KKS auf der Seite der USA mit und Russlands ist. Auch haben die 4 Bürgerlichen noch nicht registriert, was auf der Kugel gerade abgeht.

Wir haben ein rückgratloses Gremium.
12828
Melden
Zum Kommentar
157
    Nach fünf Jahren in der Challenge League: Thun steigt nach Sieg über Aarau auf

    Der FC Thun kehrt nach fünf Jahren in der Challenge League in die Super League zurück. Die Berner Oberländer gehen in der 33. Runde mit dem 2:1 gegen Aarau den letzten Schritt zur Erstklassigkeit.Nach vergeblichen Anläufen in der Barrage – 2021 gegen Sion, im vergangenen Jahr gegen die Grasshoppers – hat es nun auf direktem Weg geklappt für Thun. Drei Runden vor Schluss beträgt der Vorsprung des Teams von Mauro Lustrinelli auf Verfolger Aarau elf Punkte.

    Zur Story