Es ist Mittwoch, der 5. Dezember 2018. Viola Amherd und Karin Keller-Sutter stehen Seite an Seite im Nationalratssaal vor der Vereinigten Bundesversammlung, heben den rechten Arm, legen den Amtseid ab – und müssen spontan lachen.
Mit der Vereidigung bekennen sich die beiden Frauen zur eigenartigsten Schicksalsgemeinschaft des Landes: dem Bundesrat. Jener Behörde mit sieben Mitgliedern aus vier verschiedenen Parteien, die gemeinsam die Regierungsverantwortung für die Schweiz tragen.
Am Abend im Fernsehstudio leuchten Amherds blaue Augen vor dem blauen Dekor. Gefragt nach dem besonderen Moment des Tages, nennt sie den Schwur: «Als Frau Karin Keller-Sutter und ich praktisch synchron, in der gleichen Hundertstelsekunde sagten: ‹Ich schwöre es!› Hätten wir das geübt, wäre es nicht so gut herausgekommen.» Harmonie pur.
Sechs Jahre, zwei Monate und drei Wochen später sitzt Amherd in Bern vor den Medien. Es ist Mittwoch, 26. Februar. Die Karriere der Mitte-Bundesrätin, die Mitte Januar ihren Rücktritt auf Ende März angekündigt hat, erreicht ihren Tiefpunkt.
Über Indiskretionen war am Vortag durchgesickert, dass Armeechef Thomas Süssli und der Chef des Nachrichtendienstes, Christian Dussey, gekündigt haben. Dies bereits im Januar – doch der Bundesrat erfährt es erst jetzt. Ebenfalls am Dienstag hat die Eidgenössische Finanzkontrolle drei Berichte zum Rüstungsbetrieb des Bundes veröffentlicht, der Ruag. Es geht um einen Korruptionsfall von historischem Ausmass, um das Verschwinden von Armeematerial aus Ruag-Lagern und um mangelnde Aufsicht durch den Bund. Also durch Viola Amherd. Das Vermächtnis der Mitte-Bundesrätin liegt in Trümmern.
An der Medienkonferenz holt Amherd zum Gegenschlag aus. Sie geisselt die Indiskretionen. Sie stapelt, mit Wucht, über ein Dutzend Berichte über die Zukunft der Armee aufs Pult. Sie rattert eine Serie von Entscheiden herunter, gegen eine rasche Aufstockung der finanziellen Mittel für die Armee. «Vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen», sagt sie jedes Mal.
Der Auftritt pendelt zwischen Trotz, Trauer und Resignation. Er ist ein kaum verschleierter Bruch mit der Kollegialität. Und ein Beleg dafür, wie einsam Viola Amherd geworden ist.
Was ist geschehen, seit dem Lachen an Keller-Sutters Seite? Was ist schiefgelaufen? Und wer ist verantwortlich für das traurige Ende von Amherds Bundesratskarriere?
Zunächst gilt es festzuhalten: Amherd hat auch Erfolge vorzuweisen. Anders als Ueli Maurer hat sie den Kauf neuer Kampfjets beim Volk durchgebracht. Sie hat die Schweiz gegen Risiken im Cyberbereich besser aufgestellt. Dazu erhielt sie das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik, mit dem die Bedeutung der Sicherheitspolitik langfristig aufgewertet wird.
Sie bewies auch Mut. Etwa, als sie nach dem russischen Angriff deutlich Position zugunsten der Ukraine ergriff. Oder als sie die internationale Zusammenarbeit der Armee stärkte, gegen Widerstände im Inland. Mutig auch ihre – durchaus eigenmächtige – Zusage für eine Ukraine-Friedenskonferenz. Der Gipfel auf dem Bürgenstock wird als Höhepunkt ihrer Karriere in Erinnerung bleiben.
Daneben hat sie ihr Herzensanliegen in die Armee eingebracht. Der Anteil an Soldatinnen in der Truppe wurde auf tiefem Niveau von 0,7 auf 1,6 Prozent mehr als verdoppelt. Und ja: Trotz aller Diskussionen um die Finanzen hat die Armee schon jetzt deutlich mehr Geld zur Verfügung als bei Amherds Amtsantritt.
Die negativen Schlagzeilen dieser Woche sollten den Blick auf solche Fortschritte nicht verstellen. Doch wegreden lassen sich die Skandale nicht. Und auch nicht die Entfremdung vom Regierungskollegium.
Hat sie sich selber isoliert, oder wurde sie isoliert? Ist es gar ein Fall von Mobbing? Was sich sagen lässt: Es fällt leicht, in Bern Stimmen zu sammeln, die schlecht über Amherd reden. «Sie geht allen auf den Keks», sagt ein einflussreicher Politiker. «Wer Misstrauen sät, wird Misstrauen ernten», philosophiert eine bundesratsnahe Quelle. Sie nerve ihre Regierungskollegen, wenn sie Dinge «einfach durchstieren» wolle.
Das fängt schon 2020 bei der Beschaffung des Kampfjets an. Während Finanzminister Ueli Maurer noch mit Frankreich über Konzessionen verhandelt, falls die Schweiz die Rafale kauft, fällt Amherd bereits den Entscheid für den amerikanischen F-35. Sie verschweigt dies aber dem Gremium. Nicht nur Maurer fühlt sich hintergangen.
Der eigentliche Bruch erfolgt aber später, mit den Rücktritten von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga 2022 und Alain Berset 2023. Dadurch verändert sich die Konstellation im Bundesrat – zum Nachteil Amherds.
Bis zu seinem Rücktritt war Maurer der Aussenseiter. Während der Covid-Pandemie tanzte er immer wieder aus der Reihe. Mit Sommaruga und Berset war die SP mit erfahrenem, selbstbewusstem Personal im Kollegium vertreten. Es gab kaum ein Kräftegefälle zwischen links und rechts.
Das änderte sich nach Maurers Rücktritt, der Wahl von SVP-Bundesrat Albert Rösti und dem Wechsel von Keller-Sutter ins Finanzdepartement. Nach dem Ende der Pandemie, die zu einer enormen Neuverschuldung führte, etabliert die FDP-SVP-Mehrheit die Einhaltung der Schuldenbremse als oberste Maxime der Bundespolitik. Sie gewichtet dieses Ziel trotz des russischen Angriffskriegs bis heute höher als den rasche Stärkung der von Amherd angestrebten Verteidigungsfähigkeit.
Für die Verteidigungsministerin ist das frustrierend. Für sie ist die Sicherheit «Staatsaufgabe Nummer 1», wie sie sagt. Gespräche mit involvierten Personen zeigen, wie sich der Konflikt hochschaukelt.
Immer und immer wieder versucht sie, das Budget für die Aufrüstung schneller aufzustocken. Mal direkt im Bundesrat, mal indirekt über Parlamentarier ihrer Partei. Sie legt es an diesem Mittwoch selber offen, mit der Tirade gegen die abschlägigen Bundesratsentscheide. Kein Wunder, findet man das in andern Departementen «nervig», fühlt sich durch die Manöver hintergangen, stört sich daran, dass die Verteidigungsministerin gefällte Entscheide partout nicht akzeptiert.
In der Mitte-Partei, bei Linken und in Amherds Umfeld spricht man indes von einer «Machtpolitik des Viererblocks» unter Führung von Keller-Sutter und Rösti. Guy Parmelin kümmere sich nur um seine Angelegenheiten. Und Ignazio Cassis, der etwa in Fragen der Neutralität und der internationalen Zusammenarbeit gleiche Positionen wie Amherd vertrete, wage nicht, aus dem Viererblock auszubrechen.
Manche sehen im Machtkampf auch schon Vorboten des Wahlkampfs, dem Ringen um den zweiten Sitz der FDP, den die Mitte spätestens 2027 angreifen will: Indem Amherd daran gehindert werde, ihre Ziele zu erreichen, erscheine die Mitte als schwach, so das vermutete Kalkül. Es laufe eine Kampagne gegen Amherd, lautet eine verbreitete Klage.
Ganz anders tönt es auf der andern Seite. Hier sieht man die Fehler bei Amherd selbst, die wichtige Geschäfte ungenügend vorbereitet habe. Statt zunächst mit Kolleginnen und Kollegen informell das Gespräch zu suchen, überfalle sie den Bundesrat am Tag vor der Sitzung mit einem fertigen Vorschlag. «Sie versteht das Handwerk nicht, dass es immer ein Geben und Nehmen ist», heisst es. Oft ist zu hören, Amherd sei unnahbar und vertraue nur ihrem von Walliserinnen und Wallisern dominierten engsten Umfeld.
Grundlegende politische Konflikte münden so in kleinliches Gezänk. Zum Beispiel darüber, wer den Abschluss der Verhandlungen mit Brüssel vor den Medien präsentieren darf. Amherd nicht. Das macht sie hässig. Dafür hat sie mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Treffen in Bern vereinbart. Das stört wiederum andere Bundesratsmitglieder.
Es ist ein Abnützungskampf, an dessen Ende Amherd als Verliererin dasteht. Am Mittwoch dieser Woche, 33 Tage bevor sie aus dem Amt ausscheidet, ist in den blauen Augen der Walliserin keine Freude mehr zu erkennen. Wenn die Augen funkeln, dann nur noch vor Wut. (aargauerzeitung.ch)
"Er geht allen auf den Keks."
"Er nervt, weil er einfach Dinge durchstieren will."
Mein Gefühl sagt, diese Sätze kommen viel eher mit "sie" als mit "er" vor.
Und ist es nicht auch der Job von Regierungsmitgliedern, ihre Departemente voranzubringen? Ist es nicht auch normal, dass in der Politik in knappen Entscheiden die eine oder die andere Seite ihre Position "durchstiert"? Wird das nicht oft auch als Erfolg gewertet?
Die Verliererin ist vor allem die Schweiz, und das Problem war nicht Viola Amherd, sondern der SVP/FDP-Block. Das Neutralitätsgefasel von der SVP, bei dem es im Grunde nur darum geht, mit Kriegsverbrechern Geschäfte machen zu können, und bei der FDP das irrationale Spardiktat plus die Panik, einen Bundesratssitz zu verlieren, führen dazu, dass die Schweiz die Integration im westlichen und europäischen Verteidigungsbündnis verpasst, ungenügend gerüstet ist und trotz ernster Bedrohungslage keinen brauchbaren Plan hat.
Die Stossrichtung, die BR Amherd voranbringen wollte, stimmt. Sicherheit stärken, Aufstocken Armeebudget wegen Russland, etc. Sie ist der Zeit voraus.
Wir haben ja gesehen, dass KKS auf der Seite der USA mit und Russlands ist. Auch haben die 4 Bürgerlichen noch nicht registriert, was auf der Kugel gerade abgeht.
Wir haben ein rückgratloses Gremium.